Dossier
Mit der Bearbeitung der Motion «betreutes Wohnen 19.3716 Ergänzungsleistungen für betreutes Wohnen» legiferiert das Parlament der Bund erstmalig zu Betreuung im Alter. Es ist deshalb aus Sicht einer guten Betreuung im Sinne des «Wegweiser für gute Betreuung» zentral, dass Betreuung in dieser Vorlage umfassend und ganzheitlich betrachtet wird. Ebenso wichtig ist, dass den Tatsachen der Praxis und den Bedürfnissen der alten Menschen Rechnung getragen wird. Die Paul Schiller Stiftung verfolgt deshalb diese Arbeiten aktiv.
Die Motion fordert «die Finanzierung von betreutem Wohnen über Ergänzungsleistungen zur AHV» sicherzustellen, «so dass Heimeintritte für betagte Menschen verzögert oder vermieden werden können.»
Das Parlament hat die Motion im Dezember 2019 verabschiedet. Der Bundesrat, bzw. das zuständige Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Sozialversicherung erarbeitet aktuell Vorschläge zur Umsetzung dieser Motion. Im Rahmen einer parlamentarischen Frage von Nationalrätin Flavia Wasserfallen hat der Bundesrat angekündigt, dass im Frühjahr 2022 ein Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung geht. Aktuell werden mit einer Studie die Grundlagen erarbeitet.
Auch die Stakeholder befassen sich mit der Frage des betreuten Wohnens
Curaviva hat im Oktober 2020 im Rahmen einer Veranstaltung das Wohn- und Pflegemodell 2030 publiziert und entwickelt dies laufend weiter – gerade auch in Hinsicht auf die sozialräumliche und individuelle Ausrichtung.
Die Sozialdirektorenkonferenz hat – auch im Kontext der EL-Motion – eineVision für selbstbestimmtes Wohnen formuliert, die sowohl für den Altersbereich als auch für Menschen mit Behinderung Geltung hat.
Das System der Ergänzungsleistungen
Ergänzungsleistungen werden zusätzlich zu einer AHV- oder IV-Rente ausbezahlt, wenn die Renten und das Einkommen nicht die minimalen Lebenskosten decken. Sie berechnen sich aus der Differenz zwischen anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen. Heute werden zwei Kategorien von Personen unterschieden:
- Zu Hause lebend
- Im Heim lebend
Aus Sicht der Betreuung im Alter können im heutigen System folgende Ausgaben geltend gemacht haben.
Zu Hause lebend: erhöhter Höchstbetrag für Mietzinsausgaben um CHF 3600.00, Krankheitskosten bei vorliegendem Arztzeugnis
Im Heim lebend: Tagestaxe (Kantone können Höchstwert festlegen)
Die Abrechnung via EL setzt demnach voraus, dass ich entweder im Heim bin oder krank bin und dass von einem Arzt bescheinigt erhalte. Wenn ein Bedarf an Betreuung besteht, liegt aber nicht zwingend eine Krankschreibung vor.
Betreuung als eigenständige Unterstützungsform im Alter
Bei der Betrachtung des Alltags alter Menschen mit Unterstützungsbedarf, zeigt sich, dass die pflegerische Zeit einen kleinen Teil im Tagesverlauf einnimmt und der grosse Anteil in der übrigen Alltagsgestaltung liegt.
Betreuung im Alter unterstützt ältere Menschen, ihren Alltag selbständig zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn sie das aus eigenen Kräften nicht mehr können. Gute Betreuung richtet sich konsequent an den Bedürfnissen der betagten Person aus und behält nebst dem körperlichen auch das psychosoziale Wohlbefinden im Blick.
Betreuung im Alter lässt sich nicht mit einem abschliessenden Leistungskatalog definieren. Sie umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten, die sich in sechs Handlungsfeldern zusammenfassen lassen: Selbstsorge, Alltagsgestaltung, Haushaltsführung, soziale Teilhabe, Betreuung in Pflegesituationen, Beratungs- und (Alltags-)Koordination.
Mit der Vorlage 18.3716 wird ein erstes Mal auf Bundesebene der Fokus auf Betreuung gelegt. Es ist deshalb zentral, dass Betreuung in dieser Vorlage umfassend und ganzheitlich betrachtet wird. Ebenso wichtig ist, dass den Tatsachen der Praxis und den Bedürfnissen der alten Menschen Rechnung getragen wird.
Basierend auf ihren Arbeiten zu Betreuung im Alter regt die Paul Schiller Stiftung an, folgende vier Punkte zu beachten:
- Fachlich basierte Definition zu Grunde legen
- Beitrag leisten um die Finanzierung der Betreuung für alle tragbar zumachen
- Sicherstellen, dass die freie Wahl der Wohnform für alte Menschen gestärkt wird
- Ausgestaltung so wählen, dass qualitätsvolle Angebote für Menschen mit Bedarf realisiert werden
Um dem Rechnung zu tragen, muss bei der Umsetzung der Motion folgendes realisiert werden:
- Betreuung wird als eigenständige Leistung im Alter definiert, die nicht zwingend an einen somatischen Pflegebedarf gekoppelt ist
- Im System der EL wird eine dritte bzw. mittlere Kategorie ‘betreutes Wohnen’ eingeführt, die möglichst ohne künstliche Schnittstellen alle intermediären Formen zwischen «zuhause» und «im Heim» berücksichtigt.
- Der bedarfsgerechte Einsatz der Mittel wird via Bezugskriterien (wer hat Anrecht auf EL-finanzierte Betreuung) sowie Qualitätskriterien (wer darf diese Leistungen erbringen) für Leistungserbringer sichergestellt.
- Die Bezugskriterien für EL für betreutes Wohnen werden unter Berücksichtigung von sozio-kulturelle und psychosozialen Kriterien definiert.
- Informationen des Bundesamtes für Sozialversicherung zu den Ergänzungsleistungen (EL)
- Positionspapier des Schweizerischen Verbandes der Aktivierungsfachfrauen/-männer zur Umsetzung der Motion
- Vision der Sozialdirektorenkonferenz SODK zu betreutem Wohnen
- «Vision Wohnen im Alter», Wohn- und Pflegemodell 2030 von CURAVIVA Schweiz,
- Bannwart Livia und Kilian Künzi (2018): Untersuchung zum betreuten Wohnen, Einsparpotential, Ausmass der Hilfsbedürftigkeit, Höhe des EL-Pauschalbeitrags, Studie im Auftrag des BSV, Bern: Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS